Predigt von Pfarrer Daigeler zum 7. Ostersonntag C
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, die Liste der Dinge, die uns Sorge machen oder über die wir klagen, ist lang. Wenn wir die Nachrichten hören oder die Ansprachen der Politiker, dann werden dort die Kriege benannt im Heiligen Land, in der Ukraine oder anderswo, dann ist die Rede von einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft etc. Darüber, dass es Herausforderungen und Probleme gibt, herrscht wohl Einigkeit, vermutlich sogar darüber, wie sie heißen. Aber über die Ursachen und über mögliche Lösungen gehen die Meinungen oft weit auseinander.
An diesem Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten hören wir im Evangelium Worte aus den Abschiedsreden Jesu. Es ist so etwas wie das Testament Jesu. Und darin findet sich eine erstaunliche Bitte. Der Herr bittet nicht um den Erfolg seiner Jünger, nicht darum, dass eine ebene Straße vor ihnen liegen möge, oder dass alle Probleme von ihnen genommen würden. Nein, Jesus bittet: „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“
Wenn wir hier so etwas wie das Testament hören, dann ist das keine Nebensache. Und es ist ja unmissverständlich, was Jesus sagt. Nur wenn seine Jünger in der doppelten Einheit bleiben, werden sie überhaupt etwas bewirken. „Doppelte Einheit“ meint Einheit mit dem Herrn und untereinander. Wo eines von beiden fehlt, bleibt unser Mühen und Wirken unfruchtbar.
Und das ist eine reale Gefahr für uns Christen. Leicht gerät der Herr aus dem Blick. Wir scheuen den Widerspruch, den das Evangelium einbringen kann, wie wir es in der Ersten Lesung von Stephanus hörten. Und wir meinen, dass wir es ja heute, in dieser veränderten Zeit und angesichts der Lebensverhältnisse besser wüssten. Aber das ist ein Trugschluss. Ohne die Bindung an das Wort Christi, ohne die Bindung an ihn im Gebet und in den Sakramenten würde die Kirche eine bedeutungslose Gruppe unter vielen anderen.
Es gibt aber auch die andere Gefahr, dass wir die anderen aus dem Blick verlieren. Unsere Zeit kennt ja einen oft übersteigerten Individualismus. Nur die eigene Meinung lässt man gelten. Aber nach den Worten Jesu verfehlen wir selbst das Ziel, wenn wir die anderen zurücklassen. Nur gemeinsam können wir seine Zeugen sein, sonst wird uns niemand glauben. Wir können uns nicht verschließen in private Gruppen oder in einzelne Dörfer. Christsein bedeutet, immer wieder aufzubrechen auf den Herrn hin und auch auf die anderen Menschen zu. Das ist zugebenermaßen herausfordernd. Aber Jesus lehrt uns eben diesen Weg. Und er ist ihn uns selbst vorausgegangen.
Die Einheit, der Zusammenhalt, der Friede – das können wir nicht an „die anderen“ delegieren. Das geschieht nicht durch große Reden. Einheit beginnt bei jedem von uns. Frieden beginnt bei jedem von uns.
Als Christen ruft uns der Herr, konkrete Schritte zu wagen. Zum Beispiel in der Art, wie wir die anderen sehen, wie wir ihnen zuhören und über sie sprechen, wie wir bereit sind ihnen zu helfen. Lassen wir nicht nach in dem Bemühen „eins zu sein“. Der Glaube ist dazu eine wertvolle Hilfe, denn er macht uns zur Familie Gottes. Und in dieser Familie haben wir – bei aller Unterschiedlichkeit – Gemeinschaft mit dem Herrn und miteinander. Amen.
01.06.2025, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler