Predigt von Pfarrer Daigeler zum 2. Adventssonntag A
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Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, Wachsen und Werden braucht Zeit. Das gilt für Pflanzen und Tiere, das gilt für ein Kind im Mutterleib. Das gilt aber auch für eine gute Entscheidung oder für verlässliches Vertrauen. Nichts davon ist einfach da, es braucht Zeit zum Wachsen und zum Reifen.
An diese Wahrheit erinnert uns die Adventszeit. Eine eigene Zeit im Kirchenjahr ist dem Warten und dem Staunen über das Wachsen gewidmet. Passende Worte aus der Heiligen Schrift begleiten durch den Advent wie das Wort des Propheten Jesaja aus der Ersten Lesung vom „Spross aus der Wurzel Isais“. Ein junger Trieb, der dort wächst, wo nichts mehr erwartet worden war, wird zum „Zeichen für die Nationen“. Ein kleines, wachsendes Zeichen wird uns vorgestellt als Bild der Hoffnung und des kommenden Retters. Nicht etwas Lautes oder Großes, sondern etwas Kleines, etwas, das genaues Hinschauen erfordert, steht im Mittelpunkt.
Das soll uns helfen, Gott auf die Spur zu kommen. Denn Gott kommt nicht lärmend daher in unserer Welt. Gott hat eine Vorliebe für das Kleine und das Schwache. Darum übersehen ihn viele. Als kleines Kind kommt er in die Welt.
Nicht alle Menschen hören seine Stimme, weil ihre Ohren so vom Lärm der Welt dröhnen. Es ist nicht so, dass Gott stumm wäre. In tausend Zungen redet seine Schöpfung von ihm, in hellem Licht sprechen von ihm die Menschen, die seiner Güte Ausdruck verleihen mit Herz und Hand für die Notleidenden. Doch um das zu bemerken, braucht es offene Ohren und offene Augen.
Manche meinen, dass Sehen und Hören einfach angeboren seien. Es sei bloß eine biologische Gegebenheit, der man notfalls mit Brillen und Hörgeräten auf die Sprünge helfen muss. Doch das rechte Sehen und Hören muss man lernen und vor allem einüben. Es erfordert Zeit – die Zeit, aufmerksam hinzusehen und hinzuhören, Eindrücke auf sich wirken zu lassen und nicht vorschnell zu urteilen. Der von Jesaja angekündigte Retter „richtet nicht nach dem Augenschein“, nicht „nach dem Hörensagen“. Er schaut genau hin.
Als Hilfe für diese Wahrnehmung spricht das Evangelium von Johannes dem Täufer. Johannes sucht Abstand vom gewohnten Leben und seiner Geschäftigkeit. Er zieht sich in die Stille der Wüste zurück. Er fastet. So wird er selbst hellhörig für Gott. Und er ruft Menschen auf, dass sie ihre Ohren, Augen und Herzen für Gott öffnen.
Wir brauchen ein „hörendes Herz“. Wir brauchen die Stille. Wir brauchen Geduld für das Wachsen und Werden. Das ist vielleicht das Schwierigste: die Geduld. Viele wollen sofort eine Lösung sehen für ein Problem, „zeitnah“ eine Antwort auf ihre Fragen hören. Doch der Weg des Glaubens beginnt mit dem Stillwerden für die Stimme Gottes, er braucht die Geduld des aufmerksamen Hinhörens und Hinschauens – das ist die Gnade des Advents.
Wer sich auf diesen Weg macht, der wird erstaunliche Entdeckungen machen, denn er wird die Welt mit anderen Augen sehen. Er wird merken, dass er gar nichts verpasst, wenn er nicht jedem Trend hinterherläuft. Darauf weist uns der heilige Paulus in seinem Römerbrief hin: Gott hat uns in Christus schon alles geschenkt. Diese Gewissheit darf uns Gelassenheit geben, sagt der Apostel. Wer Christus findet, der hat in ihm alles gefunden – alles, was wir zum Gelingen des Lebens brauchen. Amen.
07.12.2025, Pfarrer Dr. Eugen Daigeler




